Volksverhetzung ist mehr als nur eine beleidigende Äußerung – sie ist ein Straftatbestand, der unsere Demokratie und den gesellschaftlichen Frieden schützen soll. Erfahren Sie, wo die Grenzen der Meinungsfreiheit liegen und wann Äußerungen strafbar werden.
Definition
Was ist Volksverhetzung?
Volksverhetzung nach § 130 des Strafgesetzbuchs (StGB) erfasst Äußerungen, die gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen gerichtet sind und den öffentlichen Frieden gefährden. Es ist einer der wichtigsten Straftatbestände gegen Hassrede in Deutschland.
Warum gibt es dieses Gesetz?
- Schutz der Menschenwürde: Grundrecht aus Artikel 1 des Grundgesetzes
- Erhaltung des Friedens: Gesellschaftliche Spannungen verhindern
- Demokratieschutz: Extremistische Propaganda bekämpfen
- Lehre aus der Geschichte: Verhinderung von Hetze wie im Nationalsozialismus
Was ist strafbar? – Die einzelnen Tatbestände
§ 130 Absatz 1 – Aufstachelung zu Hass und Gewalt
Strafbar ist, wer:
- Zu Hass gegen eine Gruppe aufstachelt
- Zu Gewalt oder Willkürmaßnahmen auffordert
- Die Menschenwürde einer Gruppe angreift
- Dadurch den öffentlichen Frieden stört
Beispiele:
- „Alle [Gruppe] gehören vergast“
- Aufrufe zu Gewalt gegen Flüchtlingsheime
- Systematische Entmenschlichung bestimmter Gruppen
§ 130 Absatz 2 – Verbreitung von Hassschriften
Strafbar ist:
- Schriften verbreiten, die zu Hass aufstacheln
- Solche Schriften öffentlich zugänglich machen
- Sie an Minderjährige weitergeben
Beispiele:
- Hassvideos in sozialen Medien teilen
- Volksverhetzende Flugblätter verteilen
- Rechtsextreme Musik mit Hassparolen
§ 130 Absatz 3 – Holocaust-Leugnung
Strafbar ist:
- Leugnung des Holocaust
- Verharmlosung der NS-Verbrechen
- Störung des öffentlichen Friedens dadurch
Beispiele:
- „Der Holocaust hat nie stattgefunden“
- „Es waren nur wenige Tausend Opfer“
- Relativierung der NS-Verbrechen
§ 130 Absatz 4 – Verherrlichung der NS-Zeit
Strafbar ist:
- Billigung der NS-Herrschaft
- Verherrlichung in einer Weise, die die Würde der Opfer verletzt
- Störung des öffentlichen Friedens
Welche Gruppen sind geschützt?
Geschützte Merkmale
- Nationalität: Deutsche und andere Staatsangehörige
- Rasse/Ethnizität: Verschiedene ethnische Gruppen
- Religion: Juden, Muslime, Christen, andere Religionsgemeinschaften
- Volkszugehörigkeit: Sinti und Roma, andere Volksgruppen
Wichtige Voraussetzungen
- Gruppe muss bestimmbar sein: Nicht „alle Menschen“
- Angriff auf die Gruppe als solche: Nicht nur Einzelpersonen
- Öffentlichkeit: Äußerung muss für andere wahrnehmbar sein
- Störung des öffentlichen Friedens: Gefahr für gesellschaftlichen Zusammenhalt
Grenzen der Meinungsfreiheit
Was ist noch erlaubt?
- Sachliche Kritik: An Politik, Religion, gesellschaftlichen Zuständen
- Übertreibung: Polemik und zugespitzte Meinungsäußerungen
- Satire: Auch wenn sie verletzt (mit Grenzen)
- Wissenschaftliche Diskussion: Auch zu kontroversen Themen
Was ist nicht mehr erlaubt?
- Pauschalverurteilungen: „Alle [Gruppe] sind…“
- Entmenschlichung: Menschen als Ungeziefer bezeichnen
- Gewaltaufrufe: Direkte oder indirekte Gewaltandrohungen
- Hassparolen: Systematische Herabwürdigung
Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Menschenwürde
Die Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) ist ein hohes Gut, aber sie findet ihre Grenzen in der Menschenwürde (Art. 1 GG). Deutsche Gerichte müssen in jedem Einzelfall abwägen.
Strafmaß und Folgen
Strafen bei Volksverhetzung
- Geldstrafe oder Freiheitsstrafe: Bis zu 5 Jahre
- Besonders schwere Fälle: Längere Haftstrafen möglich
- Nebenstrafen: Fahrverbot bei Hassgraffiti an Autos
- Zivilrechtliche Folgen: Schadensersatz, Unterlassung
Weitere Konsequenzen
- Vorstrafe: Eintrag ins Führungszeugnis
- Berufliche Nachteile: Besonders im öffentlichen Dienst
- Soziale Folgen: Verlust von Ansehen und Kontakten
- Überwachung: Mögliche Beobachtung durch Verfassungsschutz
Volksverhetzung im Internet
Besondere Herausforderungen online
- Anonymität: Täter schwer zu identifizieren
- Schnelle Verbreitung: Inhalte werden viral geteilt
- Internationale Dimension: Server im Ausland
- Dauerhaftigkeit: Screenshots als Beweise
Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG)
- Plattform-Verantwortung: Facebook, Twitter etc. müssen handeln
- Löschfristen: 24 Stunden bei eindeutigen Fällen
- Meldeverfahren: Nutzer können Inhalte melden
- Bußgelder: Bei Verstößen gegen die Löschpflichten
Wie erkenne ich Volksverhetzung?
Warnsignale
- Pauschale Angriffe: Gegen ganze Bevölkerungsgruppen
- Entmenschlichende Sprache: Tiervergleiche, Krankheitsmetaphern
- Gewaltfantasien: Direkte oder verschleierte Gewaltaufrufe
- Historische Bezüge: Relativierung von NS-Verbrechen
- Codes und Symbole: Versteckte Hassbotschaften
Typische Formulierungen
- „Die [Gruppe] gehört ausgerottet“
- „Das [historische Ereignis] gab es nicht“
- „Wir müssen uns gegen die [Gruppe] wehren“
- „Die [Gruppe] ist eine Plage/Seuche“
Was tun bei Volksverhetzung?
Sofortmaßnahmen
- Dokumentieren: Screenshots oder Fotos machen
- Nicht weiterverbreiten: Keine Hassrede teilen
- Melden: Bei Plattformen und Behörden
- Anzeige erstatten: Bei der Polizei (auch online möglich)
Anzeige erstatten
- Online-Wachen: Viele Polizeien haben Online-Anzeigemöglichkeiten
- Beweise sammeln: Screenshots, URLs, Datum und Uhrzeit
- Zeugen benennen: Falls andere die Äußerung gehört/gesehen haben
- Beratung suchen: Bei Opferberatungsstellen oder Anwält*innen
Wo melden?
- Polizei: Direkt bei der örtlichen Dienststelle
- Staatsanwaltschaft: Bei schweren Fällen direkt
- jugendschutz.net: Für Online-Inhalte
- Plattformen: Meldefunktionen von Facebook, Twitter etc.
Unterstützung für Betroffene
Beratungsstellen
- ReachOut: Beratung für Betroffene rechter Gewalt
- VBRG: Bundesweiter Verband der Beratungsstellen
- HateAid: Rechtshilfe bei digitaler Gewalt
- Amadeu Antonio Stiftung: Projekte gegen Rechtsextremismus
Rechtshilfe
- Rechtsanwält*innen: Spezialisiert auf Hassrede
- Prozesskostenhilfe: Staatliche Unterstützung bei geringem Einkommen
- Nebenklage: Betroffene können sich dem Strafverfahren anschließen
- Zivilklage: Schadensersatz und Unterlassung fordern
Prävention und Aufklärung
Gesellschaftliche Verantwortung
- Zivilcourage zeigen: Nicht schweigen bei Volksverhetzung
- Aufklärung: Über Grenzen der Meinungsfreiheit informieren
- Bildung: Demokratie- und Menschenrechtserziehung
- Positive Gegenrede: Hassrede mit sachlichen Argumenten begegnen
In sozialen Medien
- Meldebutton nutzen: Hassrede konsequent melden
- Nicht teilen: Volksverhetzende Inhalte nicht verbreiten
- Gegenrede: Sachlich und respektvoll widersprechen
- Unterstützung: Betroffenen Solidarität zeigen
Aktuelle Entwicklungen
Verschärfungen des Gesetzes
- Erweiterung: Mehr Gruppen und Situationen erfasst
- Digitale Gewalt: Besserer Schutz im Internet
- Internationale Kooperation: Grenzüberschreitende Verfolgung
- Präventionsarbeit: Mehr Mittel für Aufklärung
Herausforderungen
- Neue Medien: TikTok, Gaming-Plattformen
- Künstliche Intelligenz: Deepfakes und automatisierte Hassrede
- Verschlüsselung: Menschen in privaten Gruppen erreichen
- Internationale Täter: Verfolgung schwieriger
Fazit
Volksverhetzung ist kein Kavaliersdelikt, sondern ein Angriff auf unsere demokratische Gesellschaft. Das Gesetz schützt nicht nur einzelne Gruppen, sondern den gesellschaftlichen Frieden insgesamt. Die Meinungsfreiheit ist wichtig, aber sie endet dort, wo die Würde anderer Menschen verletzt wird.
Jede*r kann dazu beitragen, dass Volksverhetzung nicht unwidersprochen bleibt: durch Zivilcourage, Anzeigen und das Eintreten für eine respektvolle Diskussionskultur. Unsere Demokratie braucht Menschen, die für ihre Werte einstehen.